Vagues – Wellen

Wie eine fröhliche Springflut schwingen diese Wellen, die auf- und niedersteigenden Tonketten daher, tragen uns und nehmen uns sogleich hinein in einen Strudel. Ihre Kraft ist unerschöpflich, manchmal wenden wir die Aufmerksamkeit ab, ruhen ein wenig und widmen uns dann wieder ihrer Bewegung.

Wellen – die „Vagues“ des CD-Titels – sind etwas Urmusikalisches und gleichzeitig etwas enorm Suggestives. Zum einen ist Klang Schwingung. Die Welle, in reinster Form als Sinuswelle, ist ein altes Mittel der Gestaltung: Repetitive und sich allmählich verändernde Wellenlinien etwa, aber auch an- und abschwellende Klänge. So einfach Wellen im ersten Moment scheinen, so enthalten sie doch ungemeines Potenzial, denn aus der leichten Wiedererkennbarkeit wird das Spiel der Veränderungen umso deutlicher.

Zum anderen aber lösen wellenartige Bewegungen sogleich Bilder und Assoziationen in uns aus: Wellen des Wassers, des Windes, vielleicht auch Wellen des Korns. Leichtes Geplätscher am Seeufer, dauerndes Rollen am Meeresstrand. So rein und perlend klar, wie es der erste Eindruck vermittelt, bleiben die Wellen meist nicht: Sie tragen feine Schaumkronen, sprudeln, kräuseln und überschlagen sich, entwickeln eine Gischt, Strandgut vor sich her treibend und wieder zurücknehmend, hin und her. Sie können uns auch überraschen, Wellen gleichen einander und sind doch immer anders, und sie können gefährlich werden, nicht mehr wiegend, vielmehr bedrohlich wogend, sie driften auf einmal ab, kommen uns nahe, werden schmutzig oder übergross. Mannigfaltig ist das Leben der Welle.

Und wenn wir schon beim Imaginieren sind: Stellen wir uns einen kleinen ruhigen Hafen in der Bretagne vor, vielleicht dort, wo Peter Landis in den Ferien war und sich inspirieren liess: Die Wellen sind sanft, aber sie setzen doch die Boote und Schiffe in Bewegung. Sie stossen gegeneinander oder ans Pier; das alte Holz quietscht und ächzt; die Seile schlagen an die Masten, erzeugen ihrerseits einen Rhythmus, Möwen kreisen darüber, nur die Fische sind stumm. So entsteht für Momente ein Bild, ein Klangbild.

Mit der Zeit wird das Klangbild dunkler und wir steigen in tiefere Wellenbereiche hinab. Was eingangs so fröhlich dahinjagte, treibt nun untergründig voran, immer noch unnachgiebig, weiter, weiter – und verebbt schliesslich doch…

Thomas Meyer

Fenster schliessen